Kieznachbar – der Mierendorff-Kiez

Nachdem ich bereits den südlich vom Klausenerkiez gelegenen Witzlebenkiez und die Altstadt Charlottenburg als östlichen Kieznachbarn vorgestellt habe, geht es heute Richtung Norden. Geht man am Schloss Charlottenburg vorbei über die Schlossbrücke, dann gelangt man in den Mierendorff-Kiez.

 Lage

Begrenzt im Westen und Süden von der Spree, im Norden vom Westhafenkanal und im Osten vom Charlottenburger Verbindungskanal ergibt sich eine Insel, in deren Zentrum sich der Mierendorffplatz befindet.

Durch seine Lage zwischen Spree, Westhafenkanal und Charlottenburger Verbindungskanal handelt es sich beim Mierendorff-Kiez um eine Insel, weshalb die Kiezbewohner auch gern von der Mierendorff-Insel reden.

Namensgebung

Der Mierendorff-Kiez ist als solcher erst seit den 50er Jahren bekannt. Vorher trug dieser Kiez den historisch gewachsenen Namen Kalowswerder. Kiez-Mittelpunkt war der ehemalige Gustav-Adolf-Platz, welcher ebenfalls 1950 nach dem Politiker und Widerstandskämpfer Carlo Mierendorff benannt wurde.

Als Pazifist kehrte der 1897 in Großenhain in Sachsen geborene Carlo Mierendorff aus dem Ersten Weltkrieg heim. 1930 wurde er Reichstagsabgeordneter der SPD. Im März 1933 floh er kurzzeitig in die Schweiz, kehrte aber nach Deutschland zurück und wurde noch im selben Jahr in Frankfurt/Main verhaftet. Bis Juni 1938 war er in verschiedenen Konzentrationslagern und im Gestapo-Gefängnis in Berlin inhaftiert. Nach seiner Entlassung engagierte er sich als Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand. Bei einem Bombenangriff in Leipzig kam er am 4. Dezember 1943 ums Leben.

Geschichtliches zu Kalowswerder

Der Name Kalowswerder leitet sich vom Hof Kasow ab, der bereits 1375 im Landbuch Kaiser Karls IV. Erwähnung findet und von Nonnen des Spandauer Klosters bewirtschaftet wurde. Hierbei handelte es sich weitestgehend um Feuchtwiesen mit einer Fläche von rund 181 Morgen. Ab dem 16. Jahrhundert wandelte sich der Name nach und nach. Aus der Bezeichnung „Kasischer Werder“ (1537) wurde „Kasowschen Werder“ (1714), dann „Kalauschen Werder“ (1717) bis es 1857  als „Kahls-Werder“ und letztendlich „Kalowswerder“ verzeichnet wurde.

König Friedrich Wilhelm II. betrachtete das Gelände als eine Art erweiterten Schlossbezirk und wollte vom Schloss her freie Aussicht behalten. Im 19. Jahrhundert nannte man das Gebiet auch “Über der Spree”, womit die Sicht aus der Schlossperspektive gemeint war. Zunächst gab es nur eine Zugbrücke, die heutige Schlossbrücke, die Kalowswerder mit der Stadt Charlottenburg verband. Lediglich Holzplätze und Holzhandlungen wurden hier geduldet. Später entstanden einige kleinere Produktionsanlagen wie eine Zichorienfabrik und eine Ätherfabrik.

Bild: Karte von Kalowsweder 1905 aus dem Plan „Die Bebauung der Stadt Charlottenburg bis zum Jahre 1905“, Verlag Julius Springer  – Wikimedia Commons (Quelle)

Erst relativ spät erfolgte die Bebauung im größeren Stil. Im Zuge der Stadtentwicklung Charlottenburgs nach Norden wurde die Insel Kalowswerder im wesentlichen in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bebaut.

Sehenswertes

Gerade die Inselstellung macht den Mierendorff-Kiez zu etwas ganz besonderem. Insgesamt 11 Brücken verbinden die Charlottenburger Insel mit dem umliegenden Festland.  2 S-Bahnbrücken ermöglichen die Fahrt der Ringbahn durch die Mierendorff-Insel, 2 Fußgängerstege verbinden den Kiez mit der Altstadt Charlottenburg sowie mit Spandau. Auch eine U-Bahn Station gibt es auf der Insel. Dafür unterfährt die U7  direkt neben der Caprivibrücke die Spree und verlässt die Mierendorff-Insel im Norden unter dem Westhafenkanal.

Wichtig für die urbane Erschließung des Areals war vor allem die Eröffnung des Bahnhofs Jungfernheide, welche 1894 erfolgte. Der Bahnhof war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Justizverwaltung das Angebot Charlottenburgs annahm, ein Grundstück am Tegeler Weg für den Bau des Landgerichts kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Landgericht Berlin

Die Stadt Charlottenburg versprach sich davon einen Aufschwung des Stadtteils, und sie sollte Recht behalten. Der Bau des Landgerichts von 1901 bis 1906, der damit verbundene Straßenbau und Anschluss an die Kanalisation sorgten dafür, dass in der Folge bis 1914 auch das umliegende Areal mit Mietshäusern erschlossen wurde. Die damalige Bebauung ist fast unbeschadet erhalten geblieben  und versetzt einen beim Spaziergang um 100 Jahre zurück.

Vom Landgericht sind es nur wenige Gehminuten zum Mierendorff-Platz, welcher das Zentrum des Kiezes bildet.

Mierendorffplatz

Ursprünglich als Gustav-Adolf-Platz angelegt ist der Mierendorffplatz das Zentrum des Mierendorff-Kiezes. Hier findet sich eine Parkanlage mit Springbrunnen, an der ein Kinderspielplatz  sowie das „Haus am Mierendorff-Platz“ angrenzt. Dieses fungiert als Kieztreffpunkt. Gegenüber gibt es noch eine dreieckige Fläche des Mierendorffplatzes, auf welcher seit 2011 die solarbetriebene, nachhaltige BücherboxX steht. Mittwochs und samstags findet dort ein Markt statt.

Auf der diagonal verlaufenden Mierendorffstraße gelangt man zur Schlossbrücke. Auf dem Weg dorthin kommt man an dem Gebäude des Fachbereichs GWK der UdK vorbei. Die Hochschule stiftete 1983 eine Gedenktafel für Mierendorff und brachte diese an ihrem Gebäude mit der Hausnummer 30 an.

Direkt an der Spree lässt sich beidseitig wunderbar entlang spazieren. Auf dem Gebiet des Mierendorff-Kiezes befand sich zwischen Schlossbrücke und Caprivi-Brücke die ehemalige Brachfläche der Sömmeringanlage.

Österreich-Park

Seit 2013 wurde die Sömmeringanlage durch den Österreich-Park erweitert. Selbst im tristen Winterkleid zeigt sich dieser „Werbe-Park“ für den Tourismus Österreich interessant gestaltet. Ich bin schon gespannt, wie er im blühenden Sommer aussieht.

 Am Spreebord

Direkt gegenüber findet sich die Formgiesserei Noack mit einer Auswahl ihrer Kunstwerke. Folgt man weiter dem Verlauf der Spree, bewegt man sich „Am Spreebord“. Dieser Name geht zurück auf den 1835 dort befindlichen „Spree Port“, wobei “Port”  Hafen bedeutet. Diese Bezeichnung wandelte sich ab, bis dieser Abschnitt seit 1909 nur noch “Spreebord”genannt wurde. Dank des Spreezuganges konnte das Kraftwerk Charlottenburg mühelos mit Kohle versorgt werden.

Kraftwerk Charlottenburg

Der besondere Hingucker des Kraftwerks Charlottenburg ist der rote Ziegelbau, der um 1899/1900 gebaut wurde und erstmals das Rathaus Charlottenburg mit Heizwärme versorgte. Die ursprünglichen Kegeldächer der Ecktürme wurden zwar entfernt, das Gebäude ist jedoch immer noch recht eindrucksvoll. Gemeinsam mit dem 1891 eröffneten Gaswerk an der Gaußstraße wurde Kalowswerder übrigens zum wichtigsten Standort für die Energieversorgung Charlottenburgs. Zwischen der Altstadt Charlottenburg und dem Mierendorff-Kiez kann man als Fußgänger die Spree auf dem Siemenssteg überqueren, als Autofahrer nutzt man die Caprivi- oder die Röntgenbrücke.

Webschmankerl & Bücherkiste

  • Der Kiez informiert auf seiner Website über aktuelle Aktionen, die Geschichte des Kiezes sowie über die Vielfalt an Ladengeschäften.
  • Der Dorfwerkstadt e.V. engagiert sich aktiv in der Stadtteilplanung mit dem Haus am Mierendorffplatz, dem Kiezbüro und zahlreichen weiteren Aktionen und Projekten.
  • Ein tolles soziales Nachhaltigkeitsprojekt, welches glücklicherweise inzwischen in Berlin stark expandiert, ist die BücherboxX des INBAK.
  • Berlin ist eine Insel. Ein von der Spree umspültes Eiland mitten in Charlottenburg (Berliner Morgenpost 1.08.2014)
  • Leider wurde die Kiezzeitung „Insel-Echo 2.0“ aufgrund des hohen Aufwandes eingestellt. Jedoch informieren die engagierten Ehrenämtler weiterhin regelmäßig per Newsletter.

Insel-Echo

5 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar