Wie heißt eigentlich mein Kiez?

Um meinen Neujahrsvorsatz umzusetzen und meinen Kiez besser kennen zu lernen reicht es nicht aus, einfach los zu marschieren und #kiezimpressionen zu sammeln. Ein wenig Recherche muss ich schon betreiben. Meine erste Frage ist dabei: 

Wie heißt eigentlich mein Kiez?

Um herauszufinden, wie mein Kiez genannt wird, sollte ich ihn erst einmal geografisch eingrenzen. Dabei bin ich mir einer Tatsache bewusst: je bekannter ein Kiez ist, umso leichter sollten sich Informationen finden lassen.

Wissenstand

Ich wohne im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Lietzensee und das Schloss Charlottenburg sind fußläufig erreichbar. Mein Kiez befindet sich zwischen Spandauer und Kaiserdamm, sowie Sophie-Charlotten- und Schloßstraße.

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Wie also heißt mein Kiez? Vielleicht ganz elitär „Schloss-Kiez“ oder traditionell “Lietzow-Kiez”?

Die Recherche beginnt.

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Dreh- und Angelpunkt ist natürlich das Schloss Charlottenburg, welches ab 1696 als Sommerresidenz nahe dem Dorf Lietze/Lützow für die Gemahlin Friedrichs III./I. erbaut wurde. Ihr Name war Sophie Charlotte von Hannover.

Sie war die erste Königin Preußens und prägte die Gegend wie keine andere. Nach ihrem frühen Tod 1705 wurde ihr zu Ehren nicht nur das Schloss Lietzenburg in Schloss Charlottenburg umbenannt. Nein, auch die angrenzende Siedlung Lietzow und die um das Schloss entstandenen Gebäude wurden in den Ort Charlottenburg umbenannt. Bei der Eingemeindung 1920 zu Berlin wurde aus der Stadt Charlottenburg der neue Berliner Bezirk gleichen Namens. Mein Opa wies immer verschmitzt darauf hin, dass er als einer aus dem Jahrgang 1920 noch in “Charlottenburg bei Berlin” geboren wurde und somit gebürtiger Charlottenburger sei.

Lietze/Lützow/Lietzow

Lietzow-Kiez

Beginnen wir mit den ersten urkundlichen Erwähnungen, dann kommen wir am Gebiet Lietzow nicht vorbei. Laut Wikipedia begrenzt sich dieses Gelände auf das Areal

am Südufer der Spree zwischen dem heutigen Ernst-Reuter-Platz und dem Schloss Charlottenburg, nördlich der Otto-Suhr-Allee.

Damit liegt mein Kiez deutlich außerhalb und wir können den Namen “Lietzow-Kiez” verwerfen…

Altstadt Charlottenburg

AltstadtCharlottenburg

Da das Schloss Charlottenburg seit mehr als 300 Jahren existiert könnte mein Kiez gar zur Altstadt Charlottenburg zählen.

Doch ein Bebauungsplan von Berlin, der sogenannte Hobrechtplan von 1862, bringt eine Tatsache ans Licht: Meinen Kiez gab es damals noch gar nicht.

Hobrechtplan

Bild: Ausschnitt aus dem Hobrechtplan von 1862 ermittelt mit dem FIS-Broker.

Beginnt man mit dem Blick auf der römischen Nummer V und geht nach oben, so sieht man die Schlossstraße, welche auf das Schloss zuführt.

Bei näherer Betrachtung kann man erkennen, dass die Altstadt Charlottenburg weiter östlich als das von mir festgelegte Gebiet liegt. Im Westen endet die Altstadt Charlottenburg bereits an der Nehringstraße. Damit reicht dieses Viertel zwar schon eine Häuserzeile in das von mir umgrenzte Areal hinein, füllt es aber nicht aus.

Das Schlossviertel

SchlossviertelVersuchen wir es einmal mit der klangvollen Bezeichnung “Schlossviertel”. Schließlich ist meine Kiez-Grenze die Schlossstraße, welche auf das Schloss Charlottenburg hinführt und dessen Park sich bis zur Sophie-Charlotten-Straße erstreckt.

Schloßviertel: Charlottenburg,früherer Stadtbezirk der Stadt Charlottenburg, um 1905 Gebiet zwischen Kaiserdamm, Kaiser-Friedrich-Straße, Ringbahn und Spree

Volltreffer! Geografisch passt diese Bezeichnung sehr gut.

Doch klingt die Antwort “Ich lebe im Schlossviertel” auf die Frage “in welchem Kiez wohnst du?” nicht ein wenig versnobt? Müsste man nicht in der hippen Kiez-Nomenklatur vom Schloss-Kiez sprechen? Bei näherer Recherche zur Lokalgeschichte bin ich auf folgende interessante Anmerkung gestoßen:

Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Schloßstraße eine Art soziale Barriere. Östlich lebten die Großbürger, […]

[…] Auf der westlichen Seite, hier im Kiez lebten die kleinen Leute […]

Wie das in Schlossnähe passieren konnte? Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Berlin zu einem bedeutenden Industriestandort. Die Landflucht setzte zugunsten der Urbanisierung ein. Um die Landflüchtigen unterbringen zu können wurden vielerorts Mietskasernen errichtet. Dank der Eröffnung der Ost-West- Stadtbahn 1882 etablierte sich ein reger Verkehr zwischen dem Industriestandort Berlin und Charlottenburg als Vorort. Für Arbeitssuchende avancierte Charlottenburg dadurch zu einem attraktiven Wohnort mit niedrigen Mieten und guter Anbindung nach Berlin. Entsprechend dem Prinzip von Angebot und Nachfrage wurde deshalb auch im Schlossviertel der Bau von Mietskasernen vorangetrieben.

Mit dieser soziodemographischen Veränderung im Hinterkopf lassen sich ganz andere Kiez-Bezeichnungen ans Licht bringen.

Roter Kiez

RoterKiezIn der Weimarer und NS-Zeit wurde die Gegend dank der politischen Orientierung seiner Bewohner als “Roter Kiez” bezeichnet. Unter der hier ansässigen Arbeiterschaft waren SPD und KPD die ihre Wählerinteressen vertretenden Parteien.

“Hier wohnten hauptsächlich Rabauken”, wertete Gustav Jost, Polizeiwachtmeister vom Revier am Kaiserdamm.

Kleiner Wedding

KleinerWeddingDa hier vor allem Arbeiter, Angestellte, Handwerker und kleine Gewerbetreibende lebten, trug das Viertel zeitweise die Bezeichnung “Der kleine Wedding”.

Wedding mag zwar im Vergleich zu Prenzlauer Berg und Kreuzberg noch über günstigen Wohnraum verfügen und daher heute attraktiv für Zuwandernde sein. Zudem entwickeln sich hier moderne Brauereien (Vagabund Brauerei, Eschenbräu, http://bierfabrik.de/, uvm.), welche die Berliner Bierkultur nicht nur pflegen sondern auch zur steigenden Beliebtheit des Bezirks beitragen. Meiner Meinung nach hat Wedding es wirklich verdient mal ein angesagter Bezirk zu werden. Aber letztendlich wohne ich nicht in Wedding, sondern in Charlottenburg. Daher sollte mein Kiez dann schon in seinem Namen etwas lokal Signifikantes aufweisen…

Zille-Kiez

Zille-KiezDa der Milljöh-Zeichner Heinrich Zille bis zu seinem Tod in der Sophie-Charlotten-Str. 88 lebte und viele seiner Bilder hier vor Ort inspiriert wurden und entstanden sind, wäre der Begriff für meine Charlottenburger Gegend eine Bezeichnung mit etwas Lokalkolorit.

Doch prägte sich in manchen Kreisen die Bezeichnung: “Zille-Kiez” für eine typische Arbeitersiedlung im Mietskasernenstil. Assoziiert werden durch die Millieu-Bilder Zilles überbelegte Betten, dunkle Hinterhöfe und schmutzige Straßen. Da es Mietskasernen in Berlin recht viele gab, wird die Bezeichnung Zille-Kiez entsprechend häufiger verwendet. Diese Bezeichnung verwendet man beispielsweise sowohl für die Gegend um den Andreasplatz als auch für die Viktoriastadt.

Leider hat die Bezeichnung Zille-Kiez“ durch die negative Konotation und dank ihrer Häufigkeit an Charme und Durchsetzungsfähigkeit verloren.

Eines ist klar. Das alles sind Bezeichnungen, die im letzten Jahrtausend entstanden sind. Keine davon hat eine wirkliche Überlebenschance. Wie sieht es heute aus? In welchem Kiez wohne ich also?

Bei meiner Recherche bin ich unter anderem auf das Buch „Die schönsten Berliner Kieze“ von Sebastian Petrich gestoßen. In diesem zeigt sich: Mein Kiez wurde dort als erwähnenswert angesehen. Gleich sechs Seiten widmen die Autoren dem sogenannten

 Klausenerkiez

Klausenerkiez

Ich werde mich in diese Bezeichnung einlesen und zu einem späteren Zeitpunkt über meine “Ermittlungen” berichten.

3 Kommentare

    1. Danke Marcel! Leider kommt deine Antwort etwas spät 😉 Die Auflösung hab ich dank eurer Website und einem Band über Berliner Kieze kurz darauf erfahren und schreibe nun schon seit gut 5 Monaten über meine Entdeckungen im Kiez. Seitdem seid ihr auch fester Bestandteil in meinem Feedreader!

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